„Wir Juden haben keine Heiligen. Wir haben jedoch die Zaddikimdie Gerechten – oder könnte man vielleicht übersetzen – die Anständigen. Fredy Hirsch war ein Mensch, er hatte seine Fehler, er war kein Heiliger. Er war jedoch ein Gerechter – ein Zaddik. Und so wollen wir hoffen, dass, wenn der Letzte von uns, die wir ihn kannten, dahingegangen ist, künftige Generationen sagen: Dies muss ein guter, ein tapferer Mensch gewesen sein.“  (Zuzana Růžičková)

Projektidee

Aus der Verantwortung für eine lebendige Erinnerungskultur hat sich das Couven Gymnasium entschlossen, das Leben und Wirken von Fredy Hirsch, der von 1926-1931 die Vorgängerschule des heutigen Couven Gymnasiums, die Hindenburgschule, besuchte, durch eine eigene Homepage umfassend und zielgruppengerecht darzustellen. Wir möchten damit eine in mehrfacher Hinsicht herausragende und vorbildliche Persönlichkeit der Stadt Aachen würdigen. Zugleich soll dieses Projekt zu einer schülergerechten Sensibilisierung gegen Antisemitismus beitragen und nicht nur unserer Schule Impulse geben für gegenwartsbezogene Auseinandersetzungen mit Antisemitismus in unserer Gesellschaft.

In einem weiteren Schritt möchten wir auf dieser Homepage dokumentieren, in welcher Form die Annäherung an das Leben und Wirken von Fredy Hirsch und die damit verbundene Aufarbeitung der Shoah in unseren bisherigen Schulalltag eingebunden werden konnten. Zukünftige Projekte unserer Schule zu diesen Themenbereichen sollen hier ebenfalls präsentiert werden.

Diese Homepage wurde inhaltlich und gestalterisch konzipiert von den Couven Schülerinnen und Schülern Sophia Gründler, Rhea Savelsberg, Cecilia Blöß López-Caparrós, Dibia Udushesheri, Maria Löhrer und Maya Auerbach. Betreut wurden sie von den Lehrern Reiner Herrmann und Dr. Jürgen Nendza. Die digitale Aufstellung der Homepage erfolgte durch die Fa. Motion&Strategy, federführend durch Christoph Vanwersch.

Biographie Fredy Hirsch

Foto: Mutter Olga mit Paul und Fredy, um.1922.
Mutter Olga mit Paul und Fredy, um 1922. Foto: Stadtarchiv Aachen

Alfred (Fredy) Hirsch wird am 11.02.1916 als zweiter Sohn einer jüdischen Familie in Aachen geboren. Dort besucht er ab 1922 die Israelitische Volkschule. Im Jahr 1926 stirbt sein Vater Heinrich Hirsch. Danach zerbricht die Familie. Fredys Mutter Olga ist überfordert und lässt Fredy und seinen zwei Jahre älteren Bruder Paul abends oft alleine. Zuflucht und eine Art familiären Ersatz finden Fredy und sein Bruder im Jüdischen Jugendverein der Aachener Synagoge, der verschiedene Sportarten anbietet. Die Jüdische Gemeinde in Aachen ist sehr aktiv und liberal. Sie besteht aus etwa 1300 Mitgliedern. Fredy wird Mitglied im Jüdischen Pfadfinderverein Aachen.

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Fredy Hirsch-Stolperstein, Aachen. Foto: privat.

Im Frühjahr 1926 wechselt Fredy zur Aachener Hindenburgschule, der Vorgängerschule des heutigen Couven Gymnasiums. Ein Jahr später heiratet seine Mutter ein zweites Mal. Zu ihrem Stiefvater haben Fredy und sein Bruder Paul eine gute Verbindung. Der Kontakt zum Jüdischen Pfadfinderverein wird für die Brüder noch wichtiger, als ihre Mutter 1929 für ein Jahr verschwindet. Niemand weiß, wo sie sich aufhält. Während dieser Zeit sorgt eine Nachbarin für die beiden Jungen. Am 27.03.1931 wechselt Fredy die Schule, da seine Familie Aachen verlässt. Sein Abgangszeugnis ist durchwachsen. Nur im Fach Sport erhält er die Note „sehr gut“.

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Fredy in Pfadfinderkutte, um 1930, Stadtarchiv Aachen.
Fredy in Pfadfinderkutte, um 1930. Foto: Stadtarchiv Aachen

Fredy entwickelt sich zu einem ausgezeichneten Sportler, Motivator und Organisator.  Während sein Bruder Paul heimatverbunden bleibt, setzt sich Fredy für die Gründung eines eigenen Staates Eretz Israel in Palästina ein. Zwischen den Brüdern kommt es zum Bruch. Fredy wird 1931 Mitglied im Jüdischen Pfadfinderbund Deutschland (JPD), der zionistische Ziele verfolgt. 1932 zieht er nach Düsseldorf und übernimmt dort die Leitung einer Pfadfindergruppe. Hier kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Fredys JPD-Gruppe und den rechtsgerichteten, militanten Kittelbach-Piraten. Am 30. Januar 1933 erfolgt die Machtergreifung Hitlers und der NSDAP.

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Zeichnung: Fredy Hirsch-Portrait, Klasse 7, Couven Gymnasium, 2015
Schüler-Portrait von Fredy Hirsch, 7. Klasse, Couven Gymnasium Aachen, 2015.

Paul besucht bis 1938 das jüdisch-theologische Seminar in Breslau. Er heiratet Susi Goldschmidt. Sie bekommen einen Sohn, der eine Woche nach seiner Geburt verstirbt. 1938 flüchtet Paul mit seiner Frau und seinen Eltern nach Bolivien. Er fragt Fredy, ob er nicht mitkommen wolle, doch Fredy lehnt ab. In Bolivien arbeitet Paul als Reformrabbiner. Er lässt sich scheiden und heiratet seine zweite Frau Lea Siegelwachs, die einen Sohn aus erster Ehe mitbringt. Sie bekommen eine gemeinsame Tochter, Fredys Nichte Rachel Masel. Später zieht Paul mit seiner Familie und seinen Eltern nach Argentinien.

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Porträtfoto von Fredy, um 1934, Stadtarchiv Aachen.
Porträtfoto von Fredy, um 1934, Stadtarchiv Aachen.

Am 1. November 1934 hält Fredy für den Verein „Montefiore“ in Frankfurt eine Rede über vorbildliches jüdisches Verhalten im Dienst der jüdischen Gemeinschaft. Kurz darauf wird Fredy Mitglied im Verwaltungsrat des Montefiore-Vereins. Im selben Jahr vereinigt sich der Jüdische Pfadfinderbund Deutschland (JPD) mit der Makkabi Hatzair. Beide Organisationen sind zionistisch geprägt. In Frankfurt wird sich Fredy mehr und mehr seiner Homosexualität bewusst. Im Jahr 1935 zieht er nach Dresden, wo er u.a. als Sportlehrer jüdische Kinder unterrichtet. Wegen seiner Homosexualität und seines jüdischen Glaubens wird für ihn das Leben unter dem Nazi-Regime immer bedrohlicher. 

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Eingangsbereich zum Miethaus Soukenicaká 1094 in Prag, wo Fredy Hirsch in den 30er Jahren wohnte. Foto: Jürgen Nendza, 2016.
Eingangsbereich zum Miethaus Soukenicaká 1094 in Prag, wo Fredy Hirsch in den 30er Jahren wohnte. Foto: Jürgen Nendza, 2016.

Fredy flüchtet am 1. September 1935 nach Prag. Dort arbeitet er als Sportlehrer beim jüdischen Turn- und Sportverband Makkabi Hatzair. Für dessen Nachrichtenblatt verfasst er zahlreiche Beiträge über die Bedeutung des Sportes. Immer wieder betont er, wie wichtig eine körperliche Stärkung jüdischer Kinder für die Auswanderung nach Palästina und für den Aufbau eines jüdischen Staates sei. Fredy genießt großes Ansehen und ist sehr beliebt. Im Jahr 1937 organisiert er in Zilna (Slowakei) die „Makkabiaden“, Sportwettkämpfe, an denen 1600 Kinder teilnehmen. Zwischen 1936 und 1939 lebt er in Brünn.

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Collage-Never-forget-Postkarten: Gedenkpostkarten für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von Schülerinnen und Schülern der Q1, Couven Gymnasium Aachen, 2017.
Never-Forget-Postkarten: Gedenkpostkarten für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von SchülerInnen der Q1, Couven Gymnasium Aachen, 2017.

Am 15. März 1939 marschiert die Wehrmacht in die Tschechoslowakei ein. Schnell werden die Rechte der jüdischen Bevölkerung stark eingeschränkt. Sie darf Parks, Kinos, Freizeitstätten und Sportanlagen nicht mehr aufsuchen, ihr Besitz wird enteignet. Fredy ist zu dieser Zeit Sportlehrer an der Prager Alija-Schule. Trotz Einschränkungen schafft er es, den Sportplatz „Hagibor“ zum Treffpunkt für Kinder zu machen. Unter seiner Leitung treffen sich hier regelmäßig mehrere Hunderte jüdische Kinder zu sportlichen Übungen. Im Herbst 1939 gelingt es ihm, 18 jüdische Jungen von Prag über Dänemark nach Palästina zu schicken. 

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Never-forget-Postkarten: Gedenkpostkarten für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von Schülerinnen Schülern der Klasse 7, Couven Gymnasium Aachen, 2017.
Never-Forget-Postkarte: Gedenkpostkarte für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von SchülerInnen der Klasse 7, Couven Gymnasium Aachen, 2017.

Im Jahr 1941 wird das Zwangslager Theresienstadt errichtet. Es dient nicht nur als Zwischenlager für den Weitertransport von größtenteils Jüdinnen und Juden in die Konzentrationslager nach Polen, sondern ist auch ein Dezimierungslager. In Theresienstadt arbeitet Fredy in der Jugendfürsorge, die Kinderheime einrichtet. Dort organisiert er den Alltag der Kinder und sorgt für ihre Ernährung. Er versucht sie vor den Schrecken des Alltags im überfüllten Ghetto zu schützen. Es gelingt ihm einen Sportplatz für die Kinder zu organisieren. 1943 führt er die „Theresienstädter Makkabiade“ durch, eine Sportveranstaltung, an der rund 2000 Kinder teilnehmen.

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Never-forget-Postkarten: Gedenkpostkarten für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von Schülerinnen Schülern der Klasse 5, Couven Gymnasium Aachen, 2017.
Never-Forget-Postkarten: Gedenkpostkarten für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet von SchülerInnen der Klasse 5, Couven Gymnasium Aachen, 2017.

Im Sommer 1943 treffen etwa 1.200 Kinder aus dem polnischen Bialystok in Theresienstadt ein und werden komplett isoliert. Die Kinder sind traumatisiert und verwahrlost. Sie müssen von den Vergasungen in anderen Lagern gewusst haben. Jeder, der mit ihnen Kontakt aufnimmt, ist der Todesstrafe geweiht. Fredy möchte den Kindern helfen und wird bei der Kontaktaufnahme erwischt. Am 6. September 1943 wird er deswegen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Wenig später werden auch die Kinder aus Bialystok nach Auschwitz gebracht und dort ermordet.

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Koffermotiv, Foto: Chantal Martens, 2011
Koffer und Taschen von Häftlingen in Auschwitz-Birkenau. Foto der Couven-Schülerin Chantal Martens, 2011.

Insgesamt zwei Transporte werden im September 1943 aus Theresienstadt ins Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau geschickt. Die 5.007 Männer und Frauen dieser sogenannten „September-Transporte“ bilden das Theresienstädter Familienlager.  Unter ihnen sind 274 Kinder. Der Vermerk „Sechsmonatige Quarantäne“ steht auf ihren Transportpapieren. Zu diesem Zeitpunkt ist den Häftlingen im Theresienstädter Familienlager unklar, welche Pläne die SS mit ihnen hat.

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Baracke von Innen, Foto: Mahdi Emrani, 2011
Baracke in Auschwitz-Birkenau. Foto des Couven-Schülers Mahdi Emrani, 2011.

In Auschwitz-Birkenau trotzt Fredy der SS die Einrichtung eines Kinderblocks ab. Es ist der Block 31. Hier betreut Fredy täglich rund 500 Kinder. Er vermittelt ihnen etwas Normalität und Hoffnung und ermöglicht einen von der SS geduldeten Schulunterricht. Unter Fredys Leitung stirbt keines der Kinder. Er wird zu einer angesehenen Führungspersönlichkeit und erwirkt für die Kinder überlebenswichtige Vergünstigungen. Fredy legt großen Wert auf ihre Hygiene zur Stärkung ihrer körperlichen Widerstandkraft. Die Kinder üben auch Theaterstücke ein. Kurz vor Weihnachten 1943 spielen sie ihren späteren Henkern eine Schneewittchen-Aufführung vor.

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Never-Forget-Postkarte. Gedenkpostkarte für die ermordeten Kinder in Theresienstadt, gestaltet der SchülerInnen der Q1, Couven Gymnasium Aachen, 2017.
Im Februar 1944 endet die sechsmonatige Quarantäne für die Häftlinge der September-Transporte. Anfang März lässt die SS die Krematoriumsöfen befeuern, was auf anstehende Vergasungen hindeutet. Fredy wird von Mithäftlingen angetragen, einen Aufstand zu leiten. Er ist besorgt, dass dadurch das Leben der von ihm betreuten Kinder gefährdet werden könnte. Er bittet um Bedenkzeit und um ein Beruhigungsmittel. Am 8. März wird er bewusstlos aufgefunden und in der darauffolgenden Nacht in die Gaskammer getragen. Fast alle Häftlinge der September-Transporte werden in dieser Nacht ermordet. Ob Fredy Selbstmord begangen hat oder umgebracht wurde, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

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Kurzbiografien der Shoah-ZeitzeugInnen.

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Das Couven Gymnasium beteiligte sich im Schuljahr 2016-2017 an der von der Wienerin Anna Wexberg-Kubesch gestarteten Initiative never/forget/why. Diese Initiative rief europaweit dazu auf, mit 15.000 individuell gestalteten Gedenk-Karten an die rund 15000 jüdischen, meist namenlosen Kinder zu erinnern, die zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Theresienstadt oder nach ihrer Deportation von dort ermordet wurden bzw. unter anderen Umständen ums Lebens kamen. Alle 15.000 Gedenk-Karten wurden nach ihrer Fertigstellung in Wien gesammelt, in einer Installation im öffentlichen Raum präsentiert und danach in einem historischen Archiv für nächste Generationen aufgehoben. In den Klassen 5-12 befassten sich Couven-Schüler- und -LehrerInnen im Rahmen dieses Projekts fächerübergreifend mit der Shoah, mit Theresienstadt und Fredy Hirsch. Die SchülerInnen gestalteten über 800 Gedenk-Postkarten. Diese Erinnerungsarbeit setzte gleichzeitig ein Zeichen für die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in unserer Gegenwart.

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Was ist der Holocaust?

Was bedeutet das Wort #Holocaust? Heute gibt es nur noch wenige Überlebende. Sie sind die letzten #Zeitzeugen für die Gräueltaten des #Nationalsozialismus. In den #Konzentrationslagern und im Alltag wurden #Juden und #Jüdinnen systematisch gequält und getötet.